Im Göttinger Transplantationsskandal hat der Bundesgerichtshof (BGH) in der Revision den Freispruch bestätigt (Az.: 5 StR 20/16). Der frühere Leiter der Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum in Göttingen war wegen versuchten Totschlags angeklagt worden.
Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen, Krankendaten manipuliert zu haben, damit bestimmte Patienten bei der Vergabe von Transplantationsorganen bevorzugt wurden. Er solle zumindest billigend in Kauf genommen haben, dass dadurch andere Kranke auf den Wartelisten nach unten „rutschten“ und möglicherweise hätten sterben können. Die Staatsanwaltschaft hatte eine achtjährige Haftstrafe gefordert.
In der ersten Instanz vor dem Landgericht Göttingen war der fünfzigjährige Mediziner bereits freigesprochen worden. Nun hat der 5. Strafsenat diese Entscheidung bestätigt.
Verhalten des Transplantationsarztes verwerflich, aber nicht strafbar
Zwar sahen beide Gerichte das Vorgehen des Chirurgen als verwerflich und sogar als „unerträgliches Verhalten“, jedoch aber nicht als strafbar an. Der Arzt hatte unter anderem die Aufzeichnungen zu den Dialyse-Behandlungen der Patienten verändert. Eine solche Praxis sei eine „Katastrophe für das Ansehen der deutschen Medizin“ und verstoße gegen die Regeln der Transplantationsmedizin, so die Richter.
So ein Vorgehen ist wohl kein Einzelfall in Deutschland. Spenderlebern werden von der zentralen Vermittlungsstelle Eurotransplant vergeben. Dies richtet sich nach dem Meld-Score (Model of End Stage Liver Disease) eines Kranken. Damit wird die Dringlichkeit einer Transplantation ausgedrückt, in dem die Wahrscheinlichkeit dargestellt wird, mit der ein Patient innerhalb der nächsten drei Monate sterben wird. Je höher der Score, desto weiter oben befindet ein Patient sich auf der Warteliste und desto schneller wird an ihn ein Spenderorgan vergeben. Der Transplantationsarzt hatte die Patientendaten verändert, damit höhere Meld-Score-Werte erreicht wurden und so andere Patienten auf den Wartelisten überholt worden.
Auch der BGH sieht keinen Tötungsvorsatz
Den Richtern zufolge sei dennoch keine Körperverletzung oder ein Tötungsdelikt dem Mediziner zur Last zu legen. Dafür hätte nachgewiesen werden müssen, dass Patienten ohne das Handeln des Arztes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt hätten. Hinzu komme, dass nicht auszuschließen sei, dass Hinderungsgründe für die Transplantation bestehen oder dass der Körper des berechtigten Patienten das Organ nicht annehme.
Die Staatsanwaltschaft war der Auffassung, dass ein versuchter Totschlag erfüllt sei, da dafür ein bedingter Vorsatz ausreichen würde. Dies lehnte der BGH jedoch ab, weil bei einem Transplantationsmediziner nicht davon ausgegangen werden könne, dass er in der Vorstellung gehandelt habe, dass ein übergangener Patient durch eine Transplantation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überleben und ohne sterben würde. Dies könne schon deshalb nicht gelten, da bekanntermaßen ein 5 bis 10 Prozent hohes Risiko bestünde, in oder unmittelbar nach einer Transplantation zu versterben.
Der BGH ist der Auffassung, dass das Göttinger Landgericht die Situation korrekt beurteilt hat und richtigerweise insbesondere berücksichtigte, dass der Chirurg seinen Patienten helfen wollte. Auch gebe es keinen Beweis, dass tatsächlich Personen aufgrund der Verschiebungen des Arztes verstorben seien.
Er habe gewusst, dass die auf den Wartelisten verdrängten Patienten weiterhin eine Chance auf ein Spenderorgan gehabt hätten und daher das Sterberisiko relativ gering gewesen sei. Der BGH urteilte, dass die Entscheidung des Göttinger Landgerichts hinzunehmen sei, da dieses keine Rechtsfehler begangen habe, selbst wenn auch eine andere Wertung möglich gewesen wäre.
Des Weiteren lägen zwar Verstöße gegen die Richtlinien der Bundesärztekammer vor, diese seien jedoch ebenso nicht strafbar gewesen. Die Richtlinien schreiben vor, dass Alkoholkranke vor einer Lebertransplantation mindestens ein halbes Jahr „trocken“ sein müssen. Der Bundesgerichtshof konnte jedoch keine medizinischen Gründe erkennen, die eine solche Wartezeit medizinisch rechtfertigen würden.
Skandale führen zu Rückgang der Spende-Bereitschaft und zu Verschärfung der Regelungen
Das Urteil ist das bislang einzige höchstrichterlicher Rechtsprechung in Bezug auf einen solchen Transplantationsskandal. Es wird künftig Ausstrahlung auf die Bewertung der Manipulationen haben, die an anderen Transplantationskliniken aufgedeckt wurden.
Die Entdeckung des Organspende-Skandals hatte als Folge, dass die Spende-Bereitschaft in Deutschland spürbar zurückgegangen ist. Sie bewirkte jedoch auch, dass die Bundesärztekammer die Richtlinien änderte und durch strengere Auflagen heute versucht Manipulationen zu verhindern. Zudem wurde mit § 19 Abs.2 des Transplantationsgesetzes ein eigener Straftatbestand geschaffen. Danach kann einen Arzt, der im Verfahren der Organvermittlung falsche Patientendaten verwendet, eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe treffen.